

„Fermentieren heißt Vertrauen“ – Alma Corina Blum über wilde Mikroben, Kreativität in der Küche und unsere Beziehung zu Lebensmitteln
Fermentieren ist weit mehr als ein Küchentrend. Es ist eine uralte Kulturtechnik, die uns nährt, inspiriert und verbindet: mit der Natur, mit unseren Lebensmitteln und letztlich mit uns selbst. Alma Corina Blum bringt in ihrem Buch „Fantastisch fermentiert“ nicht nur fundiertes Wissen, sondern auch Begeisterung, Kreativität und einen offenen Zugang zu einem Thema auf den Tisch, das mehr kann, als nur Kohl haltbar zu machen. In diesem Interview spricht die Ernährungswissenschaftlerin über ihre Motivation, die Bedeutung des Mikrobioms, einfache Tipps für Einsteiger*innen und darüber, wie Fermentation helfen kann, Food Waste zu reduzieren und neue Essgewohnheiten zu entwickeln.
Einstieg & Motivation
Alma, wie kam es zu deiner Liebe für die Fermentation?
Mich hat fasziniert, wie es möglich ist, so komplexe chemische Vorgänge wie die Fermentation selbst zu initiieren. Und dann sozusagen ein ganz neues Lebensmittel zu schaffen. Aus Wasser, Bulgur und Salz einen Käse zu machen – das hat schon etwas Magisches. Das wollte ich ausprobieren! Und als ich das Prinzip dann verstanden hatte, fing es erst richtig an und ich merkte, dass das Fermentieren ein ganz eigener Ausdruck von Kreativität sein kann.
Du bist Ernährungswissenschaftlerin – was hat dich besonders an den Mikroorganismen im Darm fasziniert?
Die Mikroorganismen sind mir das erste Mal so richtig bewusst geworden in einer Laborübung auf der Uni. Wir haben damals mittels verschiedener Methoden – unter anderem PCR (das seit Corona jeder*m ein Begriff ist) – Analysen zum Mikrobiom im Darm gemacht. Dabei wurde deutlich, wie divers und vor allem groß die Zahl der Kleinstlebewesen in uns ist. Das ist ziemlich beeindruckend – vor allem auch, wenn man dann noch lernt, in wie vielen körperlichen Abläufen die Tätigkeit der Darmbakterien überall eine Rolle spielt. Sie sind sowas wie ein eigenes Organ – die Gesamtheit aller verschiedenen Bakterien und ihre Stoffwechselprodukte!
Du bist Ernährungswissenschaftlerin – was hat dich besonders an den Mikroorganismen im Darm fasziniert?
Die Mikroorganismen sind mir das erste Mal so richtig bewusst geworden in einer Laborübung auf der Uni. Wir haben damals mittels verschiedener Methoden – unter anderem PCR (das seit Corona jeder*m ein Begriff ist) – Analysen zum Mikrobiom im Darm gemacht. Dabei wurde deutlich, wie divers und vor allem groß die Zahl der Kleinstlebewesen in uns ist. Das ist ziemlich beeindruckend – vor allem auch, wenn man dann noch lernt, in wie vielen körperlichen Abläufen die Tätigkeit der Darmbakterien überall eine Rolle spielt. Sie sind sowas wie ein eigenes Organ – die Gesamtheit aller verschiedenen Bakterien und ihre Stoffwechselprodukte!
Was war dein erstes gelungenes Ferment?
Ich glaube, das war ein klassisches Kimchi aus Chinakohl. Bis heute ist das eines meiner liebsten Fermente – gelingt immer und schmeckt zuverlässig phänomenal!
Fermentation als Kulturtechnik
Fermentation ist eine uralte Technik – warum erlebt es aus deiner Sicht gerade jetzt ein Revival?
Ich glaube, dass das eine Reaktion auf das schnelllebige und zunehmend von der Natur entkoppelte Leben ist, das viele von uns führen (müssen). Auch das Revival des Kochens, Backens und Gartelns hat damit zu tun. Die logische Fortführung davon ist nun unter anderem die Fermentation. Mittels der bewusst gewählten Arbeit mit natürlichen Lebensmitteln wird der Kontakt zum puren Leben, zur Erde und zu sich selbst wieder hergestellt. Denn Fermentation braucht Zeit, erfordert eine gewisse Beschäftigung mit der Materie und auch ein bisschen Mut und Frustrationstoleranz, weil nicht immer alles beim ersten Versuch perfekt wird. Und dadurch erfahren Fermentistas, wie Mikroorganismen funktionieren und erlangen Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit. Ich glaube, dass es eine große Sehnsucht gibt nach echtem Kontakt mit der Welt um uns herum und auch mit dem, was in uns steckt abseits von Smartphone-Scrollen und durch den Alltag hetzen.
Du schreibst, Fermentieren sei „ein Spiel“. Was meinst du damit?
Wenn man erstmal grundlegend darüber Bescheid weiß, was Milchsäure- oder Hefebakterien zum Leben brauchen, gibt es viele kleine Stellrädchen, an denen gedreht werden kann. Und das Ergebnis wird immer ein bisschen anders! Ich probiere zum Beispiel immer wieder neue Obst- und Gemüsekombinationen aus und ich experimentiere sehr gerne mit Gewürzen. Oder ich schneide mein Fermentiergut mal in größere, mal in kleinere Stückchen und sehe dann, welchen Unterschied das auf das Endergebnis macht. Jedenfalls halte ich mir, wie in einem Spiel, den Ausgang immer ein bisschen offen. Es kann auch mal schiefgehen – und ganz oft wird es anders, als erwartet. Aber das ist alles normal beim Fermentieren und ich versuche, meine Offenheit meinen Fermenten und meinem Geschmacksurteil gegenüber groß zu halten.
Gibt es ein Ferment, das du immer im Haus hast – und warum genau dieses?
Kimchi! Weil es in so vielen Rezepten toll verarbeitet werden kann! Es gibt den Feinschliff, den es oft noch braucht für ein Gericht. Und es schmeckt fantastisch sowohl wenn es gekocht, gebraten oder gebacken wird, als auch frisch und roh als kleine Beilage.
Praxis & Alltag
Dein Buch zeigt, wie niederschwellig Fermentieren sein kann – was rätst du Einsteiger*innen, die sich noch nicht trauen?
Die Mechanismen hinter der Fermentation zu verstehen, hat mir immens geholfen, Vertrauen in meine ersten Fermentations-Versuche zu erlangen. Dafür habe ich all meine Erfahrungen und Tipps in einem ausführlichen und verständlichen Theorieteil im Buch versammelt. Wenn ein*e Leser*in nur eine Sache daraus mitnimmt, dann sollten das die Zeichen der Fermentation sein. Am besten einfach eines der Rezepte ausprobieren und schauen, wie die Zeichen der Fermentation sich zeigen – diese zu beobachten, zeigt direkt an, ob dein Versuch geglückt ist. Und dann heißt es – fermentieren, beobachten, verkosten und wiederholen!
Welche Küchenpannen können passieren – und wie sollte man damit umgehen?
Die Nebenerscheinungen von Fermentation können schon mal unangenehm werden. Als Erstes fällt mir da der Geruch ein. Fermentation riecht natürlich – aber da gibt es auch einiges, was Abhilfe verschafft. Wenn intakte, am besten neue Gummiringe verwendet werden, dann kommt nur das Nötigste an Gasen durch und die Geruchsbelästigung hält sich in Grenzen. Dasselbe gilt für die Lagerung von Fermenten im Kühlschrank. Ältere Gummiringe werden spröde und lassen mehr potenziell störende Gerüche durch.
Im Kühlschrank am besten alles andere in gut verschließbaren Gefäßen lagern. Offene Butter nimmt Gerüche beispielsweise schnell an. Eine weitere Möglichkeit ist ein eigener kleiner Kühlschrank nur für Fermente. Damit ergibt sich das Thema dann von selbst.
Weiterer Pro-Tipp: Während der Fermentation bei Zimmertemperatur immer einen Teller unter die Fermentiergläser stellen. Sollte trotz aller Vorsichtsmaßnahmen doch mal ein Ferment überlaufen, ist die Sauerei so schnell wieder behoben.
Viele denken bei Fermentation nur an Sauerkraut – welche eher ungewöhnlichen Zutaten fermentierst du besonders gerne?
Wildkräuter z.B. im Wildkräuter-Kimchi. Die kann man auch gar nicht wirklich kaufen, sondern man findet sie im Garten oder im Wald. Dieses Kimchi wird auch immer etwas anders schmecken, je nach dem, welche Kräuter zu finden sind und in welchem Mengenverhältnis sie gemischt werden. Die fermentierten Bananen sind auch eher ungewöhnlich – schmecken auch ganz spacig. Sie sind nach wenigen Tagen fertig und ich mache am liebsten Banana-Pancakes daraus! Und sehr toll finde ich auch Kumquats – das sind kleine Zitrusfrüchte, die mit der Schale verarbeitet und gegessen werden können. Sie sorgen für einen spritzigen Extrakick im Kumquat-Dill-Kimchi mit schwarzem Sesam.
Gesellschaft & Nachhaltigkeit
Welchen Beitrag kann Fermentieren deiner Meinung nach zur Bekämpfung von Food Waste leisten?
Ungefähr zwei Drittel des gesamten Lebensmittel-Abfalls entstehen zuhause – bei den Letztverbraucher*innen. Hier anzusetzen kann also ganz schön was bewirken! Sehr oft handelt es sich dabei nämlich um Gemüse und Obst, das zum direkt Reinbeißen vielleicht nicht mehr so attraktiv aussieht. Anstatt im Müll zu landen, kann nicht mehr ganz so knackiges Gemüse aber immer noch gut fermentiert werden. So bekommen Karotten, Pastinaken, Kohlrabi oder rote Rübe noch eine Chance, mich ganz neu zu begeistern. Ein Grund, weshalb es zuhause oft zu Lebensmittelabfall kommt, ist auch, dass im Sommer und Herbst einfach alles auf einmal zu ernten ist. Zudem fragt man sich – wohin mit all den Tomaten und Kürbissen?
Durch Fermentation können auch große Mengen gut verarbeitet und haltbar gemacht werden. Und dann gibt es noch die Möglichkeit, Gemüseteile zu fermentieren, die traditionell als Müll angesehen werden. Ein schönes Radieschen- oder Karottengrün ist eine wunderbare Zutat in Fermenten und sogar aus Wassermelonenschalen kann man Kimchi machen!
Persönlich & kreativ
Fermentation braucht Zeit – hast du das Gefühl, dass sich unsere Beziehung zu Lebensmitteln dadurch verändert?
Auf jeden Fall! Das fängt schon beim Überlegen an, was ich fermentieren möchte oder wenn ich Gemüse auswähle und schon davon träume, was daraus einmal werden könnte… Das Beobachten der Fermentation, das Verkosten zu verschiedenen Zeitpunkten im Prozess, das Einschätzen, wann es genug fermentiert ist – das sind alles Dinge, die ich nicht erlebe, wenn ich nur eine Packung Sauerkraut aufreiße. Die Verbindung zu den Lebensmitteln wird durchs Selbst-Fermentieren sicher stärker und es entsteht eine unmittelbare Beziehung dazu.
Ausblick
Was wünschst du dir, dass Leser*innen nach dem Lesen deines Buches mitnehmen?
Ferment, fail, repeat! Einfach ausprobieren und dabei offen bleiben, was das Ergebnis betrifft. Ich hoffe, dass ich diesen Zugang, dass nichts perfekt sein muss und dass „richtig“ und „falsch“ keine relevanten Kategorien sind, vermittle. Erst wenn Fehler erlaubt sind, entsteht Raum zum Ausprobieren und Experimentieren. Nicht nur in der Fermentation, übrigens! Und darin liegt eine große Freiheit!
Und zum Schluss: Was ist dein liebstes Ferment-to-go, wenn’s mal schnell gehen muss?
Alles in Salzlake! Einfach Gemüse in große Stücke schneiden, Wasser mit Salz verrühren und alles in ein Glas abfüllen. Das geht fast so schnell, wie sich eine Schale Cornflakes zum Frühstück zu richten! Die Radieschen in Salzlake sind z. B. ein ultra-einfaches und schnell zubereitetes Ferment.