

Lokal, saisonal, unabhängig – wie Wintergemüse unsere Ernährung revolutioniert
Klingt nach einem Widerspruch: Frisches Gemüse mitten im Winter, und das aus einer Region mit langen, harten Wintern wie Québec. Doch genau das macht Jean-Martin Fortier möglich – in seinem neuen Buch „Market Garding im Winter“ verrät er, wie: mit praxisnaher Anleitung, fundiertem Know-how und einer Vision, die über den Gemüsegarten hinausreicht. Der international bekannte Kleinlandwirt und Bestsellerautor zeigt, dass Wintergemüse nicht nur realistisch, sondern dringend notwendig ist – ökologisch, ökonomisch und gesellschaftlich.
Warum wir unsere Landwirtschaft im Winter neu denken müssen
Supermärkte kennen keine Jahreszeiten – und genau das ist das Problem. Dass Tomaten, Spinat oder Paprika im Januar im Regal liegen, hat seinen Preis: ökologische Belastungen durch Transport, Abhängigkeit von globalen Lieferketten und ein Verlust an saisonalem Bewusstsein. Fortier fordert ein radikales Umdenken: Warum nicht wieder wie unsere Vorfahren saisonal essen – aber mit modernen Methoden und größerer Vielfalt?
Auf der Ferme des Quatre-Temps in Kanada erprobt Fortier gemeinsam mit seinem Team, wie sich über 30 frostresistente Kulturen wie Spinat, Asia-Greens oder Winterportulak energiearm, lokal und rentabel anbauen lassen – mitten im Winter, bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt. Was utopisch klingt, basiert auf jahrhundertealten Techniken aus Frankreich, kombiniert mit innovativer Planung und modernen Schutzeinrichtungen.
Weniger Licht statt mehr Frost – die wahren Herausforderungen des Winteranbaus
Nicht die Kälte ist das Hauptproblem beim Wintergemüse – es ist das Licht. Denn sobald die Tage kürzer als 10 Stunden sind (je nach Region zwischen Ende Oktober und Anfang November), stellt fast jedes Gemüse das Wachstum ein. Um dieses „Winterruhefenster“ zu überbrücken, müssen Pflanzen vorher mindestens 70 % ihres Wachstums erreicht haben.
Fortier zeigt detailliert, wie man mit vorausschauender Aussaatplanung, abgehärteten Jungpflanzen und geschickter Staffelung auch in lichtarmen Monaten eine stabile Erntebasis schafft. In Tabellen und Pflanzkalendern gibt er präzise Aussaattermine, etwa für:
- Spinat: spätestens Anfang Oktober
- Tatsoi: idealerweise Anfang bis Mitte Oktober
- Feldsalat: schon ab August im Freiland
Die wichtigste Regel: Je näher die Aussaat an den Winter rückt, desto langsamer wächst das Gemüse – und desto früher muss es in die Erde.

Das Zwiebelschalen-Prinzip: Wintergemüse ohne Heizung
Wie bleibt Gemüse trotz Frost knackig? Die Lösung liegt im Zwiebelschalen-Prinzip: Mehrere Schichten aus Kalthaus, Folientunnel, Vlies oder Minitunnel schaffen ein Mikroklima, das Pflanzen vor Wind, Eis und Temperaturschwankungen schützt.
Anders als beheizte Systeme basiert dieses Modell auf passiven Wärmequellen: Sonnenstrahlen am Tag und isolierende Luftpolster in der Nacht. So entstehen minimale Betriebskosten bei maximaler Nachhaltigkeit – ideal für kleinstrukturierte Betriebe, Selbstversorgergärten oder alle, die den Winter produktiv nutzen möchten. Fortier beweist mit konkreten Beispielen: Ein sorgfältig geplanter Winteranbau ist nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern auch ökonomisch attraktiv.
Das Ziel: unabhängiger, resilienter und vielfältiger wirtschaften
Fortier sieht im Winteranbau mehr als nur eine technische Herausforderung – er versteht ihn als kulturellen Wandel. Auf seiner Farm werden jährlich Gemüsebaulehrlinge ausgebildet, um das Wissen weiterzugeben und neue Modelle für eine regionale, ökologische Landwirtschaft zu entwickeln. Diese Erfahrung fließt in das Buch ebenso ein wie konkrete Zahlen: von Erträgen einzelner Kulturen bis zur optimalen Flächennutzung.
Das Gemüse der Zukunft wächst im Schnee
Mit „Market Gardening im Winter“ zeigt Jean-Martin Fortier eindrucksvoll: Lokale Ernährung kennt keine Saisonpause. Wer jetzt beginnt, seine Winterproduktion zu planen, sichert sich nicht nur eine ertragreiche Saison, sondern wird Teil einer Bewegung für klimafreundlichen, zukunftsfähigen Gemüsebau. Mit praxisnahen Tipps, erprobten Methoden und dem fundierten Wissen eines Pioniers.